Fake News in Nebel
23. Juni 2023
23. Juni 2023
Fotos aus dem Jahr 2023
eine Skizze zur Instandsetzung mit dezentem Anbau
Wir sind erst am Anfang einer Geschichte, die Spannung verspricht. Wieder einmal wird versucht, ein mehr als zweifelhaftes Projekt durchzudrücken. Wir kennen das von diversen anderen Fällen, die wir begleitet haben. Zu Beginn bereiten wir die Geschichte des Gutachtens auf, mit dem die Gemeinde den maroden Zustand des Haus des Gastes beweisen wollte. Dumm nur, dass es das Gutachten nie gab!
Wie kann man ein teures und wenig Nutzen bringendes Projekt politisch durchsetzen? Diese Frage müssen sich die Verantwortlichen gestellt haben, die den Abriss des Haus des Gastes in Nebel auf Amrum durchdrücken wollen. Wie es heute aussieht, gab und gibt es keine guten Gründe, die historische Villa durch einen großen Neubau zu ersetzen. Fehlen aber Argumente, dann wird schon gerne mal geflunkert. Für das Haus des Gastes bedeutete das, den Abriss auf ein Gutachten zu gründen, das nicht existiert.
Wie lief das ab in Nebel, dem kleinen Dorf mit der bemerkenswerten historischen Bausubstanz? Man war offenbar nicht so richtig zufrieden mit dem Haus des Gastes, das sich seit 1986 im Eigentum der Gemeinde befindet. Schon seit den frühen 2010er-Jahren beschäftigte man sich mit der Villa. Der Zustand war irgendwie nicht zufriedenstellend, meinten wohl manche — aber so genau weiß man das heute nicht mehr.
Nebel: Haus des Gastes, 2016 (Foto: Matthias Süßen, Quelle: wikipedia.de)
Es deutet manches darauf hin, dass man seit Jahrzehnten für Pflege und Unterhaltung der Villa nicht viel getan hatte. Gutes Geld schlecht gespart — das machen viele Kommunen gerne. Instandsetzungfehler tragen nicht gerade zum Charme der alten Bauten bei — Fenster von der Stange sind ein gutes Beispiel für schlechte Planung. So kommen unsere historischen Schätze in die Jahre, strahlen nicht mehr. Häuser meckern nicht sehr laut, wenn man sie vernachlässigt.
Die verschiedenen gescheiterten Versuche, „irgendwas“ mit dem Gebäude zu machen, deuten auf eine Menge Dilettantismus hin — aber wir ersparen uns eine genauere Betrachtung. Schließlich hat die Gemeinde ja selbst nie die Notwendigkeit gesehen, eine Dokumentation der Geschichte seit 1986 zu veröffentlichen. Warum sollten wir das also machen, während die Großkopferten ihre Pläne umsetzen und mit einem Abriss Fakten schaffen?
Das jedenfalls ist offensichtlich: Eines Tages meinte die Gemeinde, nun endlich Nägel mit Köpfen machen zu müssen. Das Haus sollte verschwinden und an dessen Stelle ein schicker Neubau entstehen. Ein „zweiphasiger EU-offener Realisierungswettbewerb“ wurde „ausgelobt“ (siehe Amrum News vom 2. Oktober 2020), 162 Architekturbüros reichten Entwürfe ein — da flatterte schon ein wenig weltstädtisches Flair durch den kleinen Ort. Als wenn Nebel das bräuchte! Aber wenn es dem Esel zu — naja …
Ein siebenköpfiges Preisgericht sollte über die Entwürfe richten. Das Gremium bestand aus vier Fachpreisrichtern und ein wenig gemeinem Volk. Zu letzterem gehörten drei Sachpreisrichter aus dem Gemeinderat und etwas Füllpersonal, das vermutlich eher wegen Schnittchen und Getränken dabei sein durfte. Als das Ergebnis feststand, unterrichtete Bürgermeister Cornelius Bendixen seine Untertanen in einer Meldung der Amrum News, seiner Hofpostille, wie folgt:
„Wir möchten unsere interessierten Einwohner bei diesem zukunftsweisenden und für Nebel bedeutenden Projekt sehr zeitnah und persönlich informieren. Wir haben uns im eingesetzten Preisgericht die Entscheidung wahrlich nicht leicht gemacht und sind gespannt auf die sicherlich sehr unterschiedlichen Meinungen und Auffassungen.“
Quelle: Amrum News vom 2. Oktober 2020
Dass die „interessierten Einwohner“ gar nicht so sehr an einem Abriss des historischen Haus des Gastes interessiert sein könnten, wurde wohl nicht erwartet. Hatte man vermutet, dass ein architektonischer Diskurs darüber entstehen würde, ob man in Nebel Stahlbeton und Glas oder Glas und Stahlbeton bevorzugt?
Den Nebeler Großkopferten war klar: Sie muss weg, die alte Villa. Wie sonst sollte man den Neubau errichten, von dem man seit Jahren träumte? Dass der schicke Glaskasten so umme eben mal die doppelte Fläche des alten Hauses beanspruchte und dafür der halbe Kurpark weichen muss — Kollateralschaden! Einfach machen — und irgendwann wird der Neubau dann vielleicht mal als das Bendixen-Haus in den Landkarten stehen. Ruhm und Ehre den Machern des neuen Nebel!
Trotzdem brauchte man natürlich eine klare Argumentationslinie, wenn man eine Mehrheit in der Gemeindevertretung für das neue und schicke Nebel erreichen wollte. Doch wie rechtfertigt man den Abriss einer historischen Villa? Möglicherweise hingen ja doch noch einige Herzen an dem ortsbildprägenden Gebäude aus dem Jahr 1905, das eng mit der Geschichte der Insel verbunden war und ist? Vielleicht hatten ja einige KollegInnen aus der Gemeindevertretung in dem alten Park das erste mal geknutscht?
So kam es, dass vor einigen Jahren die Aussage der Gemeinde in die Welt gesetzt wurde, das Gebäude sei „marode“. Warum kommt uns das bekannt vor? Ah ja: Dieses Zauberwort wird immer dann gerne vorgeschoben, wenn man eigentlich nichts Genaues weiß, ein Bauwerk aber ohne viel Aufheben loswerden möchte.
„Marode“ klingt auf jeden Fall bedrohlich: Morsche Balken drohen herunterzufallen, die BewohnerInnen zu erschlagen. Der Hausschwamm grinst aus allen Ecken und der Dachboden steht voller Eimer, alle randvoll mit Regenwasser. Jeder wird verstehen, dass unter solchen Bedingungen eine Instandsetzung nicht mehr lohnen kann! Was aber, wenn die Menschen an dem Gebäude hängen? Vielleicht könnte man es ja doch retten? Dann braucht man mehr — und die Gemeinde war dabei findig.
So wurde in Nebel schon vor Jahren seitens der Gemeinde offiziell verlautbart, dass es ein Gutachten gebe, in dem der marode Zustand des Bauwerks festgestellt werde. Das klingt seriös, oder? Viele dürften sich nun bebrillte Fachleute vorstellen, die in staubigen Kitteln vom Keller bis zum Dachboden alles untersuchen, Proben nehmen, seitenweise Notizen machen — und letztendlich ein dickes Gutachten erstellen, das viele Details enthält, die letztlich das Ende des Haus des Gastes bedeuten.
Mit so einem Gutachten bewaffnet sollen also die Befürworter des Abrisses die Gemeindevertretung überzeugt haben — zumindest ist das heute auf der Insel aus informierten Kreisen zu hören. Noch informiertere Kreise wollen sogar wissen, dass der Bürgermeister mit Rücktritt gedroht haben soll, falls der Gemeinderat rumzicken sollte. Das Ergebnis war: einstimmig für den Abriss. Brav!
Also weg mit dem maroden Kasten! Auch wenn heute niemand so recht weiß, wann welcher Beschluss den Abriss der alten Villa besiegelt haben soll …
Wer genauer hinschaute, musste sich allerdings wundern: Wie konnte es sein, dass in einer solchen Ruine immer noch Menschen dauerhaft wohnten und täglich dort arbeiteten? Seltsam, oder?
Irgendwer wollte dann mal mehr dazu wissen. Ende 2022 fand eine Bürgerfragestunde statt. Ein vorwitziger Bürger fragte an diesem Tag nach dem Gutachten. Die Gemeinde musste zugeben, dass es gar kein Gutachten gab. Laut Überlieferung war es Bürgermeister Bendixen, der sich das Geständnis abringen musste. Ob er dabei wenigstens etwas peinlich berührt druckste? Wir wissen es nicht. Ob mit Drucksen oder ohne: Das geschah am 20. Dezember 2022 auf eine mündliche Anfrage hin, die Antwort wurde mündlich gegeben und nicht protokolliert.
An einer Dokumentation der seltsamen Aussage bestand seitens der Gemeinde vermutlich auch kein besonderes Interesse. Die sonst so emsig berichtenden Amrum News, das Blatt der Gemeinde für Haus- und Hofberichterstattung, hatte schon seit September 2021 nichts Neues mehr zu dem heiklen Thema veröffentlicht. Was eigentlich ein gefundenes Fressen für einen guten Journalisten gewesen wäre, fand mit keiner Zeile das Licht der Öffentlichkeit.
Statt dessen berichtete der Haus- und Hofberichterstatter der Gemeinde, Ralf Hoffmann, nochmal über den schlechten Zustand des Bauwerks:
Die Gemeindevertretung kam zu dem Entschluss, dass […] besonders auch die schlechte Bausubstanz des vorhandenen Gebäudes eine Renovierung ausschließt.
Quelle: Amrum News vom 4. Januar 2023
Das liest sich genauso dreist wie tendenziös, wenn man bedenkt, welchen Sprengstoff der Bürgermeister in dieser Sitzung zu genau diesem Thema gerade zugeben musste. Kommentare wurden zu dem Bericht in Amrum News übrigens nicht zugelassen. Das verwundert nicht, wenn man den Gegenwind kennt, den Amrumer BürgerInnen als Kommentare unter älteren Artikeln zum Haus des Gastes entfacht haben.
Seit knapp zwei Jahren herrscht also weitgehend Funkstille in dem Medium, was nicht anders zu erwarten war, denn: Das Organ wird von der AmrumTouristik finanziert. Direktor der AmrumTouristik ist Cornelius Bendixen. Cornelius Bendixen ist der Bürgermeister. Der Bürgermeister ist es, der den Abriss vorantreibt. Die Geschichte ist schlüssig, oder?
Trotzdem macht die Gemeinde auch weiterhin auf seriös. Von dem Märchen, dass dieses Gutachten zum maroden Zustand existiert, lässt man auch im April 2023 nicht so ganz:
Nach intensiven Bemühungen zum Erhalt des bestehenden Gebäudes mittels Studien und Gutachten zur grundständigen Sanierung mit Varianten zum Teilneubau und Renovierung, die jedoch an den zu hohen Kosten gescheitert sind, entschied sich die Gemeinde schließlich für einen Neubau des Haus des Gastes.
Zitat: Begründung zum Bebauungsplan Nr. 19 „Haus des Gastes“, Entwurf vom 6.4.2023, Seite 2
Immerhin ist eine gewisse Vorsichtigkeit eingekehrt: Es wird nicht mehr behauptet, dass das Gebäude marode sei. Andererseits werden aber auch hier die „Studien und Gutachten“ (wie viele mögen das sein?) angeführt, die nicht weiter bezeichnet werden. Schön vage bleiben — dann ist man auf der sicheren Seite.
Überdenkt man den Sachverhalt, dass es nie ein Gutachten zum Zustand der alten Villa gab — was von mehreren Nebeler BürgerInnen bestätigt wird — dann liegen diese Fragen nicht fern:
Aus Sicht der IRHB betreibt man seitens der Verantwortlichen ein ziemlich dubioses Spiel — und streut zweifelhafte und nicht nachvollziehbare „Informationen“. Eine gewissenhafte Gemeindevertretung sollte anders arbeiten.
In Nebel wird ein Bürgerbegehren durchgeführt werden. Hieran können nur Nebeler BürgerInnen teilnehmen.
Georg Quedens ist eine bekannte Persönlichkeit auf Amrum. In den Amrum News wurde ein Artikel von ihm aus dem Jahr 2020 veröffentlicht, der sich mit der Geschichte des Hauses befasst. Eine Position zum geplanten Abriss bezieht Georg Quedens damals bedauerlicherweise nicht. Allerdings hat er das 2023 in aller Deutlichkeit nachgeholt.