Rettet man so ein gefährdetes Haus?
Der Versuch eines groben Leitfadens anhand eines praktischen Falls
von Frank Jermann, 18. Mai 2021
von Frank Jermann, 18. Mai 2021
Vor drei Tagen tauchte in unserer IRHB-Gruppe auf Facebook ein Hilferuf zur Rettung eines historischen Gebäudes auf. Ich kannte den Fall dieses Hauses bereits aus einer identischen Darstellung auf Facebook aus dem Sommer 2020 und hätte nie gedacht, dass die Petition fast ein Jahr später wieder in diesem sozialen Netzwerk auftaucht. So schaue ich mir nun den selben Text an, sehe das selbe Foto — und bin vorwiegend ratlos. Irgendwas fehlt da.
Die Petition läuft bereits lange. Mit zirka 4.300 Unterschriften kann man sie auch als Erfolg hinsichtlich der Mobilisierung einstufen, wenn man sie mit anderen Petitionen in diesem Umfeld vergleicht. Aber es kommt noch besser:
Und trotzdem sieht alles so aus, als würde das Haus nicht gerettet werden können. Warum? Nun, da ist durchaus Verzweiflung zu spüren bei den Aktiven, wenn ein Jahr, nachdem die Petition begonnen wurde, wohl nichts erreicht ist. So schreibt eine Aktivistin auf Facebook:
„Es steht NOCH und benötigt allerdings weiterhin unsere dringende Unterstützung!!!“
Hmm, das liest sich nicht gut. Ich recherchiere ein wenig, kann aber nicht viel finden. Wieso eigentlich nicht?
Die Initiative auf change.org geht auf eine „Interessengemeinschaft Kulturgut Fischland“ zurück. Mehr kann ich nicht erfahren. Es fehlt an einer Anlaufstelle im Internet — im besten Fall einer eigenen Website, im schlechteren wenigstens einer Facebook-Seite. Derzeit sind die InitiatorInnen digital heimatlos — und somit auch unnötig gesichtslos.
Wie soll da jemand Kontakt aufnehmen können? Wie will man ohne eine solche Plattform beispielsweise erklären, warum die Ostsee-Zeitung bereits am 5. November 2019 berichtete, dass das Kleinhempel-Haus in Ahrenshoop abgerissen werden könne und die lokale Initiative gescheitert sei? Nanu, schon gescheitert, bevor man angefangen hat? Ich bin verwirrt.
Wir von der IRHB haben die verschiedenen Petitionsplattformen auf Herz und Nieren getestet. Ich mache es kurz: change.org ist nicht besonders gut geeignet. Ohne ins Detail zu gehen: OpenPetition bietet deutlich mehr Möglichkeiten, um eine Petition „am Leben zu halten“, um Neuigkeiten zu verbreiten, um immer wieder mal zu mobilisieren. Die Arbeit an einer Petition ist ohnehin schwierig genug, aber wenn bereits die Plattform wichtige Werkzeuge nicht bietet, dann ist das ein völlig unnötiger Hemmschuh.
Wenn dann noch die wenigen Möglichkeiten von den Petenten nicht genutzt werden — wie beispielsweise der Bereich „Updates“ für Neuigkeiten — dann gehen schon mal Dinge unter. Zeitungsartikel beispielsweise: So wie die Veröffentlichung auf moderneRegional, die darauf hinweist, dass die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sich mit einem Schreiben an die Landesdenkmalpflege für den Erhalt des Kleinhempel-Hauses ausgesprochen haben. Welche Hilfe will man noch angeboten bekommen — und dann nicht darüber berichten?
Dann ist da noch der Petitionstext. Ich halte ihn nicht für gelungen. Es ist beispielsweise nicht wichtig für den Erhalt des Kleinhempel-Hauses, ob es durch einen „wohnwirtschaftlich unsinnigen Neubau“ ersetzt werden soll. Des weiteren werden viel zu allgemeine Forderungen aufgestellt — der Text hätte besser formuliert und dadurch besser auf das Anliegen fokussiert werden können.
Letztlich wurden sieben (!) Adressaten für die Petition angegeben. Ich denke nicht, dass das sinnvoll ist. Beim Verfassen einer Petition muss man sich darüber im klaren sein, wer zuständig ist und die gewünschte Entscheidung herbeiführen kann.
Es ist klasse, wenn mit der IgB ein Schwergewicht der Hausretterszene das Anliegen unterstützt. Der Verein hat enormes Potential dank seiner Grösse (6.000 Mitglieder, er bewegt pro Jahr mehr als eine Viertelmillion Euro). Trotzdem muss man auf Facebook von einer Unterstützerin lesen:
„Dieses Haus benötigt öffentlichen Protest. Eine Unterschrift unter die Petition. Ein Juristen, der sich im Denkmalschutz auskennt. Ich habe bereits die IgB-Chefin gefragt, sie um Unterstützung gebeten. Ohne Erfolg, leider.“
Als ehemaliges Vereinsmitglied und langjähriger Betreiber einer vielfach bestätigten extrem rührigen IgB-Kontaktstelle kenne ich den Verein gut. Deshalb weiss ich, dass er eklatante Schwächen hatte, zu mobilisieren. Welche LeserInnen würden den Link zur Petition aus der Vereinszeitschrift abtippen (siehe Foto), um dann die Petition zu unterzeichnen? Wieso werden solche Dinge nicht online und anklickbar auf der IgB-Website veröffentlicht?
Und nicht zuletzt: Was ist aus dem erwähnten Artikel in der IgB-Mitgliederzeitschrift über das Kleinhempel-Haus geworden? Wurde da seitens der IgB energisch nachverfolgt? Ich kann nichts finden.
Zu meiner Zeit im Verein war eine ernsthafte Verfolgung solcher Fälle in vergleichbaren Situationen meist nicht der Fall. Da hat die Interessengemeinschaft Kulturgut Fischland möglicherweise einfach Pech gehabt, dass sie an die IgB geraten ist — wobei uns berichtet wurde, dass die lokalen IgBler sehr engagiert unterstützt hätten, auf Bundesebene jedoch die übliche ablehnende Haltung herrschte.
Andererseits: Vielleicht kommt ja noch mal etwas von dem Verein in dieser Sache? Es wäre zu wünschen!
Ich ahne, was die Reaktion mancher auf meine Gedanken sein wird: dieser Nörgler! Aus Sicht der IRHB, die sich aus jahrelanger Praxis in ähnlichen Fällen ergeben hat, nörgeln wir allerdings nicht, sondern bereiten Fakten auf, verbessern Schwachstellen, teilen Wissen und leisten Hilfestellung. Deshalb hier unsere Einschätzung und unsere Tipps:
Wenn es nicht zu spät ist, sollte sich die Initiative eine Website leisten. Ebenfalls ist ein strukturiertes Auftreten in den sozialen Medien anzustreben. Es müssen die Fakten, der aktuelle Stand, Verantwortliche, Kontaktmöglichkeiten und Gesichter präsentiert werden. Die IRHB hilft in solchen Fällen gerne.
Im hier besprochenen Fall ist bedauerlicherweise nichts mehr zu machen — die Petition ist wie sie ist. Eine Änderung würde zu Verwirrung führen, für eine neue Petition ist kein Raum mehr.
Die IRHB rät immer dazu, eine Petition mit erfahrenen Fachleuten zu formulieren. Zudem müssen eine Kommunikationsstrategie entwickelt und Medienarbeit geplant werden. Nicht zu vergessen: Es sollte eine geeignete Petitionsplattform gewählt werden. Wenn man sich nicht auskennt, kann man die Unterschiede der Plattformen vermutlich nicht einschätzen. Auch hierbei bieten wir Hilfe an.
Es ist zu wünschen, dass die IgB sich des Themas „Ahrenshoop“ vielleicht doch noch ernsthaft annimmt. Ein Verein in der Grösse sollte dazu in der Lage sein. Es wäre wohl der erfolgversprechendste Schritt für die Initiative vor Ort — weil die IgB hier bereits einmal involviert war und Kontakte hat.
6.000 Mitglieder und jahrelanges Netzwerken könnten ein so mächtiges Pfund sein! Ist es aber regelmässig nicht in der IgB. Gibt’s da Hoffnung, dass der Verein einfach mal seine selbstauferlegte programmgemässe Aufgabe annimmt? Hier in Ahrenshoop könnte er sich erproben.
Nein, es besteht wenig Hoffnung, dass sich die IgB bewegt, und so muss ich etwas fremdschämend feststellen: Dieser grosse Verein tut sich in solchen Dingen nicht das erste mal so schwer (siehe: Zwischenruf im Kasten). In manchen Projekten hat er zu meiner aktiven Zeit sogar kontraproduktiv und gegen das Ziel ähnlicher Petitionen gehandelt — das war einer meiner Gründe, den Verein zu verlassen. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Ich fürchte, dass die Chancen für das Kleinhempel-Haus schlecht stehen. Anders formuliert: Sie standen vermutlich einmal besser, denn ich kann Aktivitäten seit dem Oktober 2019 (Zeitungsartikel in der Ostsee-Zeitung) finden — und das ist nun bereits 19 Monate her. Die Petition auf change.org wird heute als „vor 2 Jahren“ gestartet bezeichnet. Da ist mittlerweile viel Wasser um die Halbinsel geflossen — und was ist seitdem passiert?
Wenn ich den „Hilferuf“ einer Aktivistin vom 15. Mai 2021 auf Facebook lese („… 15 Minuten nach 12 Uhr …“), dann habe ich nicht das Gefühl, dass in diesen zwei Jahren etwas erreicht wurde. Vielmehr liest sich das so, als wäre ein Abriss des Hauses keine Überraschung mehr.
Wir als IRHB haben das Kleinhempel-Haus in unsere Liste gefährdeter Bauten aufgenommen. Wir werden versuchen, mit den Initiatoren der Petition in Kontakt zu kommen, was mangels der oben erwähnten digitalen Nicht-Präsenz und fehlender Namen von Personen schwierig werden dürfte. Aber halt! Wenigstens da hilft die IgB: Im gedruckten Artikel ist eine eMail-Adresse zu finden. Die werde ich dann mal abtippen.
Die eine oder andere Kleinigkeit könnte der Besteckkasten unserer Massnahmen noch hergeben — aber das war’s dann auch. Vielleicht schaffen wir es ja zumindest, die Frage von Kerstin Stöver (Kunstgewerbemuseum Dresden) zu beantworten, die sie im mdr-Sachsenspiegel am 10. November 2019 stellte:
„Wieso sind die Ahrenshooper nicht schon eher aktiv geworden?“
Eine gute Frage, finde ich. Und ich möchte sie erweitern: Warum, liebe Ahrenshooper, führt ihr so eine öffentliche Kampagne nicht transparent durch? Warum werden die UnterstützerInnen nicht irgendwo im Netz eingefangen und informiert?
Vielleicht wird es trotz all meiner Bedenken gut ausgehen für das schützenswerte Kleinhempel-Haus, ich hoffe natürlich das Beste. Die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine Rettung könnten aber besser sein. Das liegt auch daran, dass die PetentInnen nicht bekannt sind und kaum über ihr Projekt informieren. Ich finde, dass wir Transparenz und Öffentlichkeit benötigen — und das nicht nur von Behörden und anderen Beteiligten einfordern dürfen, sondern diese Massstäbe auch an uns selbst anlegen müssen.
Vielleicht wird das Kleinhempel-Haus aber auch abgerissen werden. Das wäre ein Verlust und eine Niederlage. Wenn der Fall jedoch dazu führt, dass andere daraus lernen und es besser machen, dann bleibt am Ende vielleicht so etwas wie ein kleiner Trost — und ein wenig mehr Hoffnung in all den ähnlichen Fällen.
Vergessen wir aber nicht: Scheitern können wir trotzdem mit jedem unserer Anliegen, gefährdete historische Bauten zu retten — in jedem einzelnen Fall. Die Chancen auf einen Erfolg werden aber mit gutem Handwerkszeug auf keinen Fall schlechter.
Wir Schützer historischer Bauten sind bedauerlicherweise immer noch zu wenig organisiert, wir sind zu leise und zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Dies zu ändern, daran arbeitet die IRHB.
Machen Sie bitte mit.
-Frank Jermann
Wie macht man aus einem Text für die Vereinszeitschrift „Holznagel“ einen Online-Artikel? Bei der IgB stellt das eine Hürde dar. Als ich den Begriff „Cross-Media“ vor Jahren in der IgB verwendete, schauten mich grosse Augen verständnislos an. Wir wollten zwar das selbe, lebten aber offenbar in unterschiedlichen Universen. Daran hat sich bis heute wenig geändert.
Da erhält die IgB einen gut geschriebenen Artikel, der mit dem Aufruf endet, die Petition zu unterzeichnen — und alles, was der Redaktion einfällt, ist, einen Link abzudrucken? Den Artikel auf die Website des Vereins zu stellen, ihn in den sozialen Medien zu bewerben, nochmal separat online auf die Petition hinzuweisen, um den der Sache die grösstmögliche Unterstützung angedeihen zu lassen — darauf kommt niemand in der Redaktion?
Naja, nicht ganz — auch auf der Facebook-Seite hat man auf den Fall hingewiesen. Einen Hinweis auf die oder gar einen Link zur Petition (Links: das sind diese seltsamen, hervorgehobenen Textstellen, die man mit der Maus anklicken kann und dann erscheinen wie von Zauberhand andere Inhalte) konnte man aber nicht einbauen.
Das Ergebnis: Die Suche auf der IgB-Website nach „Ahrenshoop“ oder „Kleinhempel“ spuckt nur das völlig nutzlose Inhaltsverzeichnis eines alten IgB-Vereinshefts aus. Der Verein behält lieber Inhalte intern in seiner Mitgliederzeitung, als die lokale Initiative in Ahrenshoop wirkungsvoll mit einer Online-Version des Artikels zu unterstützen.
All das zeigt wenig Verständnis für moderne Kommunikation. Noch bedenklicher: Es zeigt auch wenig Verständnis für das eigentliche Anliegen des Vereins. In seinem Programm steht ganz viel Richtiges und Unterstützenswertes. Ganz am Anfang heisst es dort: Wir wollen möglichst viele typische Gebäude in der Landschaft erhalten. Dann macht das aber bitte auch!
Für einen Verein, der jahrzehntelang viel (!) Geld für seinen Online-Auftritt aufwendet, ist das ein mehr als dürftiges Ergebnis. Für die Mitglieder der IgB wäre es ein Grund, darüber nachzudenken, was da falsch läuft — denn es sind Mitgliedsbeiträge, die da ohne Sachverstand verbrannt werden. Wer sich in der IgB traut, das zu thematisieren, wird allerdings keine glückliche Zukunft in diesem Verein haben.
Ich weiss, wovon ich schreibe.
Frank Jermann