Akte Gerbhaus: fachliche Einschätzung
Fragen wir einen Fachmann!
Wir haben uns in den letzten zwei Wochen tief in die Denkmalakte zum Bacharacher Gerbhaus vergraben. Daraus entstanden sind einige Artikel, in die wir unsere Erfahrungen mit Denkmalen und der Denkmalpflege einbringen.
Dabei begleiten uns natürlich auch Zweifel, ob wir das Geschehen richtig einschätzen. Schließlich sind wir keine Verwaltungsfachleute. Aus diesem Grund haben wir bei einem ausgewiesenen Fachmann in Sachen Denkmalrecht nachgefragt:
Hartmut Fischer ist Vorsitzender des Regionalverbandes Rhein-Main-Nahe des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz.
IRHB: Herr Fischer, Ihnen liegen Auszüge der Denkmalakte zum Gerbhaus in Bacharach vor. Das Schreiben der Unteren Bauaufsichtsbehörde vom 5.2.2015 an die Eigentümer hat damals offenbar nicht zu einer Sicherung des Gebäudes geführt — weder durch die Eigentümer, noch durch die Bauaufsicht. Das ist für uns nur schwierig nachzuvollziehen. Können Sie das Vorgehen einordnen?
Hartmut Fischer: „Die Bauaufsichtsbehörde ist zuständig, falls von einem Bauwerk, ob Einzeldenkmal oder nicht, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Sollte eine Umgebungsgefährdung tatsächlich erkannt worden sein, hätte die untere Bauaufsichtsbehörde es allerdings nicht bei einem schriftlichen Hinweis belassen dürfen.
Vielmehr hätte sie die Eigentümer auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 Landesbauordnung mit Fristsetzung und notfalls unter Androhung von Zwangsgeld auffordern müssen, die erforderlichen Maßnahmen durchführen zu lassen, um die Umgebungsgefährdung zu beenden.“
IRHB: Was die Bauaufsichtsbehörde konkret gemacht hat, wissen wir nicht. Was wir aber wissen ist: Man hat die Untere Denkmalschutzbehörde informiert, das Schreiben vom 5.2.2015 liegt Ihnen vor. Der Denkmalschutz wurde jedoch 19 Monate nicht tätig. Ging man davon aus, dass die Bauaufsicht das Thema einfach und schnell erledigen könnte und man so selbst nichts veranlassen müsste?
Hartmut Fischer: „Es ist nicht bekannt, aus welchen Gründen die untere Denkmalschutzbehörde den Vorgang 19 Monate lang liegenließ. Ihre Zuständigkeit war auf jeden Fall gegeben, und zwar unabhängig davon, ob von dem Gebäude eine Umgebungsgefahr ausging. (siehe hierzu auch: OVG Lüneburg 1. Senat, Beschluss vom 19.05.2021, 1 ME 55/21).
Die untere Denkmalschutzbehörde hätte bereits 2015 allein schon wegen des schadhaften Dachs erkennen können, dass die Gebäudesubstanz unterzugehen drohte, mithin also „Gefahr im Verzug“ war. Es lagen somit schon in jenem Jahr sogar die Voraussetzungen vor für ein „unmittelbares“ Tätigwerden dieser Behörde gemäß § 14 Abs. 3 Denkmalschutzgesetz.“
IRHB: Es erfolgte jedoch — bedauerlicherweise für das Gerbhaus — kein „unmittelbares“ Tätigwerden der Unteren Denkmalschutzbehörde. Vielmehr ordnete diese erst im Dezember 2016 die Wiederherstellung der Dacheindeckung durch die Eigentümer an. Im Falle der Nichtbefolgung drohte man dann mit einer Ersatzvornahme.
Hartmut Fischer: „Unerfindlich bleibt, warum ein weiteres Jahr ins Land ging, ehe den Eigentümern schließlich am 20.11.2017 eine Ersatzvornahme gem. § 14 Abs. 2 Denkmalschutzgesetz angekündigt wurde und man sie aufforderte, die voraussichtlichen Kosten der Ersatzvornahme im Voraus zu zahlen.
Offensichtlich verstand die Behörde diese Zahlung als Voraussetzung für die Einleitung der Ersatzvornahme. Hierzu ist allerdings festzustellen, dass § 63 Abs. 2 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz eine solche Vorauszahlungspflicht in Abhängigkeit von den tatsächlichen Umständen nur als Kannbestimmung vorsieht.“
IRHB: Wir wissen: Die Ersatzvornahme wurde aber nie durchgeführt, was kaum zu verstehen ist, wenn man den Zustand des Gerbhauses betrachtet. War die nun angeforderte Vorauszahlung durch die Eigentümer ein Hinderungsgrund für die Denkmalschutzbehörde, die Ersatzvornahme auch tatsächlich durchzuführen?
Hartmut Fischer: „Die Nichtzahlung des Eigentümers hinderte die untere Denkmalschutzbehörde nicht daran, die angekündigten Instandsetzungsmaßnahmen umgehend in die Wege zu leiten.
Da der Substanzverlust aufgrund von Witterungseinflüssen erkennbar voranschritt und somit weiterhin „Gefahr im Verzug“ bestand, gab es keine Gründe, die einem unmittelbaren Tätigwerden der unteren Denkmalschutzbehörde entgegengestanden haben dürften. Dies hätte beispielsweise eine provisorische Dachabdichtung bedeuten können.“
IRHB: Hand aufs Herz: Können tatsächlich die damals veranschlagten Kosten von 4.000 Euro ein Hinderungsgrund gewesen sein, um ein Kulturdenkmal an exponierter Stelle über Jahre verfallen zu lassen?
Hartmut Fischer: „Droht durch Untätigkeit von Eigentümern der Untergang eines Denkmals, besteht immer eine Handlungspflicht der zuständigen Behörde. Dies gilt erst recht in Fällen, in denen sich die der Behörde vorläufig entstehenden Kosten in einem durchaus übersichtlichen Rahmen halten. Dies traf und trifft hier zu.“
Vielen Dank, Herr Fischer!
zur ProjektübersichtInhaltsverzeichnis
I. Aus der DenkmalakteEinleitung | Übersicht mit Kurzbeschreibung |
Kapitel 1: | Wie alles anfing |
Kapitel 2: | 19 Monate Untätigkeit der Denkmalschutzbehörde |
Kapitel 3: | Der Denkmalschutz „macht ernst“ |
Kapitel 4: | Briefe aus Ost und West |
Kapitel 5: | Ziehen Sie keine 4.000 Euro ein! |
Juli 2021: | Hartmut Fischer, Rheinischer Verein |
Juni 2021: | Keine Sperrung trotz akuter Gefahr! |
Oktober 2021: | Das sagen die Landtagsfraktionen — oder besser: Sagen die überhaupt etwas? |
März 2022: | Dr. Dagmar Aversano-Schreiber über das Gerberei-Handwerk in Bacharach und das Gerbhaus |
die Kernaussagen
2015: Gefahr im Verzug
Die untere Denkmalschutzbehörde hätte bereits 2015 erkennen können, dass für das Denkmal „Gefahr im Verzug“ bestand.
02/2015 bis 11/2016: unerfindliche Verzögerung
Es ist nicht bekannt, aus welchen Gründen die untere Denkmalschutzbehörde den Vorgang 19 Monate lang liegen liess.
2016: Massnahmen hätten umgehend eingeleitet werden können
Die Nichtzahlung des Eigentümers hinderte die untere Denkmalschutzbehörde nicht daran, die angekündigten Instandsetzungsmaßnahmen umgehend in die Wege zu leiten.
Denkmalbehörde war jederzeit zuständig
Droht durch Untätigkeit von Eigentümern der Untergang eines Denkmals, besteht immer eine Handlungspflicht der zuständigen Behörde.