Akte Gerbhaus: fünftes Kapitel
Ziehen Sie keine 4.000 Euro ein!
Wer waren eigentlich die Eigentümer des Gerbhauses in den Jahren, die wir in hier in unserer Serie bisher behandelt haben — also von 2015 bis 2017? Wir kennen die Namen, aber natürlich besteht ein berechtigtes Interesse am Schutz persönlicher Daten, weshalb wir die uns diesbezüglich vorliegenden Informationen nicht öffentlich machen. Aber ein „anonymer“ Blick auf die beiden Eigentümer lohnt durchaus, wenn man das Vorgehen der Denkmalschutzbehörde begreifen möchte. Also blicken wir zuerst einmal kurz auf diese Beiden — bevor wir uns wieder dem weiteren Verfahren zuwenden.
Die Eigentümer
Nennen wir sie oder ihn „A“
Der Person A gehören laut Denkmalakte 95 % des Gerbhaus-Grundstücks.
A tauchte ja bereits auf im Laufe unserer Dokumentation: Die Person meldete sich bei der Unteren Denkmalschutzbehörde mit einem Schreiben vom 30. Dezember 2016 (siehe Kapitel 4). Wir wissen, dass sie sich — nach eigenen Angaben — zum Zeitpunkt des Schreibens im Ausland aufhielt. A hatte jedoch die Anschrift eines Bevollmächtigten in einer grossen deutschen Stadt angegeben, unter der man ihn/sie erreichen könne.
Wie wir allerdings aufgrund unserer Recherchen wissen, konnte A mindestens bis zum 19. Dezember 2016 postalisch unter einer Bacharacher Anschrift erreicht werden.
Nennen wir sie oder ihn „B“
Der Person B gehören die restlichen 5 % des Gerbhaus-Grundstücks.
B konnte bis zum Oktober 2017 unter einer Bacharacher Anschrift erreicht werden, verzog dann aber. Die exakten Details können wir nicht genauer erkennen, denn es fehlen in der uns überlassenen Aktenkopie Zustellungsurkunden und möglicherweise andere Seiten. Im Oktober 2018 wurde jedoch eine neue Anschrift unweit Bacharachs ermittelt. Später verzog B erneut, zirka eine Autostunde in Richtung Süden.
Warum ist das wichtig?
Wenn Behörden Bescheide erlassen, dann werden diese den Betroffenen normalerweise per Post zugestellt. Ist das nicht möglich, dann kann so ein Bescheid nicht umgesetzt werden. Es gibt zwar diverse Möglichkeiten, Ersatzzustellungen oder auch Zustellungen im Ausland vorzunehmen, aber das ist aufwändig — und sicher auch nicht das tägliche Geschäft einer Denkmalschutzbehörde. Wenn man es versucht hätte, so müsste das allerdings aus der Akte ersichtlich sein. Ist es aber nicht …
Eines der durch die zögerliche Vorgehensweise der Behörde selbst verursachten Hauptprobleme wird nun deutlich: Die Eigentümer wurden für die Behörde immer weniger greifbar. Und man kann ahnen, dass diese Eigentümer, die sich ersichtlich nicht um das Gerbhaus kümmerten, auch gar kein Interesse daran hatten, erreicht werden zu können.
Wer kommt da nicht auf die Idee, dass es ganz gut gewesen wäre, wenn man das Verfahren zur Sicherung des Gerbhauses zügig durchgeführt hätte? Wir wissen aber, dass sich die Behörde seeehr viel Zeit gelassen hat: Alleine die 19-monatige Untätigkeit zwischen Februar 2015 und September 2016 war vertane Zeit für das Gerbhaus. Schon damals hätte man problemlos eine Notsicherung durchführen können. Falsch: Man hätte sie durchführen müssen!
Ziemlich verfahren
Ein so langes Verfahren — noch dazu mit Beteiligten, die vielleicht keine feste Verwurzelung mit Bacharach hatten — wird erfahrungsgemäss nicht einfacher. War das der Unteren Denkmalschutzbehörde nicht bewusst? Die teils völlig unnötigen Verzögerungen des Verfahrens hatten direkte Auswirkungen auf das Denkmal, denn: Es regnete währenddessen immer weiter in das Gerbhaus hinein. Die Ursachen der meisten Verzögerungen sind bei der zuständigen Behörde zu finden.
Wie lautet nochmal der gesetzliche Auftrag an den Denkmalschutz? Ah ja:
Aufgabe des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege ist es, die Kulturdenkmäler (§ 3) zu erhalten und zu pflegen, insbesondere deren Zustand zu überwachen, Gefahren von ihnen abzuwenden und sie zu bergen.
§ 1 Absatz 1, Denkmalschutzgesetz des Landes Rheinland-Pfalz
Es ist festzuhalten: Die behördliche Verzögerung eines solchen Verfahrens wie diesem hier widerspricht dem gesetzlichen Auftrag des Denkmalschutzes.
Strafe muss sein!
Aber irgendwann musste es ja weitergehen. Der Sachstand im Oktober 2017 war: Das Dach des Gerbhauses stand weiterhin weit offen. Die Eigentümer A und B drehten den Behörden eine, also besser: zwei Nasen. Was denkt sich da die oder der emsige DenkmalpflegerIn aus? Strafe! Es sollten nun Anzeigen nach Ordnungswidrigkeitenrecht erstattet werden: unterlassene Sicherung des Gebäudes und somit „vorsätzliches Verhalten zu Lasten des Kulturdenkmals“. Ob das die Protagonisten dazu bringen würde, das Dach endlich reparieren zu lassen?
Jetzt macht sich unser kleiner Ausflug in die Anschriftenwelt der beiden Eigentümer bezahlt: An B (der/die ja bisher unter einer bekannten Anschrift in Bacharach weilte), wurde die Ankündigung der Ordnungswidrigkeitspläne des Denkmalpflegers zwar abgeschickt, sie konnte aber nicht zugestellt werden. Ach, wäre man doch nur früher tätig geworden!
Und A, die/der ja die Anschrift in der grossen Stadt im Osten angegeben hatte? Auch ihm/ihr wurde die Anzeige angekündigt. Die Akte ergibt allerdings nichts dazu, ob die Person A der Bescheid erreichte. Eine Zustellung des Schreibens ist doch höchst zweifelhaft: Nach eigenen Angaben wohnte A ja gar nicht dort — und eine Vollmacht zur Zustellung an diese Ersatzperson lag nicht vor. Vor einigen Monaten, ja, da wäre das alles noch gegangen, wenn man — aber das wissen Sie ja bereits, liebe Lerserinnen und Leser …
Allerdings — und jetzt kommt mal wieder etwas zum Schmunzeln: Die (Nicht-)Zustellungen waren völlig schnuppe, denn wir finden einen Aktenvermerk, in dem anderthalb Monate später festgehalten wurde, dass laut
„… Denkmalschutzgesetz von Rheinland-Pfalz […] Verstösse gegen die Erhaltungspflicht eines Kulturdenkmals […] nicht mit einer Geldbuße belegt …“
werden können. Hmm. Dabei wäre eine Strafe doch so schön gewesen, jedenfalls nach Ansicht der Behörde! Was eine solche Strafe dem Denkmal genutzt hätte, dazu wäre eine Begründung der Denkmalpflege sicher interessant.
Festzuhalten bleibt, dass aufgrund einer völlig ungeeigneten Massnahme wieder einmal mehr als sechs Wochen ohne ein positives Ergebnis für das Gerbhaus vergingen. Aber unsere tapfere DenkmalpflegerIn gab sich nicht geschlagen! Ein Hoffnungsschimmer kam auf, denn man griff nun zur — Ersatzvornahme. 1019 Tage brauchte man dafür. 1019 Tage, in denen jeder Regentropfen über dem Gerbhaus durch das offene Dach dort hineinfiel. Mit Kenntnis des Denkmalschutzes …
Endlich: Ersatzvornahme!
Sie ist — vor der Enteignung — der zweitletzte grosse Hebel des Denkmalschutzes: die sogenannte Ersatzvornahme. Sie bedeutet, dass unwillige Eigentümer eben nur noch über die Sicherungsmassnahme informiert werden, den Auftrag dazu aber die Untere Denkmalbehörde erteilen kann. Und die Kosten dafür? Die kann sich der zuständige Landkreis von den Eigentümern zurückholen. Das klingt vernünftig und ist ganz im Sinne eines gefährdeten Denkmals.
Nun war es also soweit: Gegen B, die/der ja noch in der Region lebte, wurde am 20. November 2017 die Ersatzvornahme angeordnet, nicht jedoch gegen A. Das erscheint sinnvoll, denn A weilte ja nach eigener Angabe weit, weit im Osten und war wohl nicht greifbar. Aber egal: B sollte finanziell haften. Die Behörde war auf dem richtigen Weg. Endlich Hoffnung für das Gerbhaus!
In wenigen Wochen, ach, in wenigen Tagen wäre das Dach nun geschlossen. Naja, wir ahnen, dass wir diesen Gedanken nach den bisherigen Erfahrungen ein wenig umformulieren sollten, da wir es mit einer ganz besonderen Denkmalschutzbehörde zu tun haben. Machen wir also vorsorglich ein „hätte das Dach geschlossen sein können“ daraus.
Aber sind wir vielleicht zu pessimistisch? Wie könnte die Untere Denkmalbehörde denn auch noch die Ersatzvornahme versemmeln? Seien Sie tapfer: Ja, sie konnte. In ihrer ganzen Weisheit hat die Behörde den Bescheid wie folgt formuliert:
„Es wird bestimmt, dass die voraussichtlichen Kosten der Ersatzvornahme im Voraus zu zahlen sind. Der Betrag in Höhe von 4.000 Euro ist innerhalb von drei Wochen […] zu überweisen.“
Sie ahnen etwas? Ja? Tatsächlich? Da sind Sie weiter als die Denkmalpflege im Landkreis Mainz-Bingen — Sie sollten sich vielleicht dort bewerben. Lassen wir uns das — immer im Bewusstsein des bleischweren Entsetzens über dieses Elend — auf der Zunge zergehen:
- Die Untere Denkmalschutzbehörde ordnete mehrfach an, dass das Dach unverzüglich geschlossen werden müsse.
- Natürlich hätten die Eigentümer das jederzeit selbst veranlassen können — das haben sie aber nie.
- Mit der angeordneten Ersatzvornahme konnte nun die Denkmalpflege den Auftrag für die Notreparatur erteilen — auch gegen den Willen der Eigentümer und unverzüglich.
- Der/die angeschriebene EigentümerIn B sollte jedoch die voraussichtlichen Kosten binnen drei Wochen „im Voraus“ (!) zahlen.
Im Voraus — das bedeutete in der Realität, dass die Ersatzvornahme nur dann vorgenommen würde, wenn B tatsächlich gezahlt hätte.
Versetzen Sie sich mal in B: Wie hätten Sie an ihrer/seiner Stelle reagiert? Hätten Sie den Betrag von 4.000 Euro überwiesen? Na? Nein, ganz bestimmt nicht. Warum hätte B das machen sollen, nachdem er/sie sich jahrelang nicht mal im Entferntesten um das Gerbhaus und dessen Schicksal gekümmert hatte? Und — seien Sie bitte nicht überrascht — so kam es auch.
Abgesehen davon, dass wir in der Akte keine Zustellungsurkunde für den Bescheid zur Ersatzvornahme finden konnten: Ein Geldeingang wurde natürlich ebenfalls nicht aktenkundig. Die Folge: Das Dach wurde nicht repariert.
Lassen Sie uns diese Frage in fetten und kursiven Lettern stellen (zu Grossbuchstaben können wir uns nicht durchringen — auch wenn ein verzweifeltes, lautes Schreien mehr als angemessen wäre). Welche Frage? Ah, die Frage, die die ganze Absurdität des denkmalpflegerischen Vorgehens im Fall des Bacharacher Gerbhauses gut auf den Punkt bringt:
Wozu in aller Welt ordnet man eine Ersatzvornahme zur Rettung eines gefährdeten Kulturdenkmals an, wenn die Durchführung dieser Ersatzvornahme an ein Mitwirken des seit Jahren völlig unwilligen Eigentümers geknüpft ist? An ein rechtlich völlig unnötiges Mitwirken des Eigentümers? An ein Mitwirken, von dem jede mit dem Sachverhalt vertraute Person weiss, dass es nie passieren wird?
Die nächste Frist zur Aktenvorlage wurde übrigens auf den 3. Januar 2018 (Tag 1063) gesetzt.
Alle sind verarmt!
Vergessen wir aber zum Abschluss der heutigen Folge nicht die Stadt Bacharach! Bacharach, die Stadt, die ja „alles Mögliche“ getan hat für das Gerbhaus. Bis hierhin war das — wir blättern nochmal die Akte durch — nichts. Und es sollte auch noch eine ganze Weile so bleiben.
Was wir im Rahmen dieses Projekts aus Bacharach immer wieder gehört haben, ist:
„Die Stadt Bacharach hat kein Geld.“
Ja, das wird so sein. Aber warum wird das so gerne in diesem Zusammenhang erwähnt? Selbst ein ehemaliges Mitglied des Stadtrats, Manuela Dobroschke, äusserte sich im Juni 2021 öffentlich so:
„Die Stadt hat auch keinerlei Mittel um dieses Gebäude zu retten, zumal es ihr nicht gehört.“
Manuela Dobroschke, ehemalige Stadträtin; Zitat von Facebook, Gruppe Mittelrhein-Info, 29.6.2021
Wie kann man als ehemalige Stadträtin so einen absurden Aspekt in die Diskussion einbringen? Aus Ahnungslosigkeit?
Zuständig für die Ersatzvornahme ist der Landkreis — und nicht die Stadt Bacharach. Somit wären auch die Kosten der Ersatzvornahme vom Landkreis zu tragen gewesen. „Zu tragen“ bedeutet hier: Der Landkreis hätte diesen Betrag erst einmal vorschiessen müssen. Ja, im Zweifel hätte man lange Zeit warten müssen auf die 4.000 Euro. Hat da jemand „Peanuts“ gerufen? Also bitte!
Der Landkreis hätte also erstmal mit 4.000 Euro einspringen müssen. Vorschiessen ist schlecht, dachte die oder der DenkmalpflegerIn vermutlich. Was, wenn alles schlecht läuft und der Kreis das Geld nie wieder sieht? Was passiert dann? Wehklagen! Verzweiflung! Pleite? Meine Pension!
Der Jahresabschluss des Landkreises Mainz-Bingen für das Jahr 2017 ermöglicht uns ganz gut zu beurteilen, ob dort das finanzielle Chaos ausgebrochen wäre, wenn man die 4.000 Euro zur Rettung des Gerbhauses einfach in die Hand genommen hätte:
„Das Jahresergebnis weist somit einen Jahresüberschuss von 15.234.861,68 EUR aus. Dies ist eine Verbesserung in Höhe von 10.921.016,68 EUR gegenüber der Planung, welche lediglich von einem Überschuss in Höhe von 4.313.845,00 EUR ausging.“
Quelle: Jahresabschluss 2017 des Landkreises Mainz-Bingen
Lesen wir das richtig? 15 Millionen Überschuss (wir vernachlässigen mal die schlappen 234.861,68 Euro) — und es war trotzdem kein Geld dafür da, 4.000 Euro für den dringenden Erhalt eines Kulturdenkmals vorzustrecken? 4.000 Euro, das sind gerade 0,026 % des Überschusses des Landkreises im Jahr 2017. Oder anders betrachtet: Mit den soeben vernachlässigten schlappen 234.861,68 Euro hätte man diese Reparatur mehr als 50 mal finanzieren können.
Man schaffte es in Ingelheim aber nicht, einen Betrag von 4.000 Euro vorzulegen? Hat da schon wieder jemand „Peanuts“ gerufen? Frechheit!
Wie würde wohl ein unbefangener Mensch anhand dieser Zahlen und des Vorgehens der Unteren Denkmalschutzbehörde den Stellenwert des Denkmalschutzes in Rheinland-Pfalz beurteilen?
zur ProjektübersichtInhaltsverzeichnis
I. Aus der DenkmalakteEinleitung | Übersicht mit Kurzbeschreibung |
Kapitel 1: | Wie alles anfing |
Kapitel 2: | 19 Monate Untätigkeit der Denkmalschutzbehörde |
Kapitel 3: | Der Denkmalschutz „macht ernst“ |
Kapitel 4: | Briefe aus Ost und West |
Kapitel 5: | Ziehen Sie keine 4.000 Euro ein! |
Juli 2021: | Hartmut Fischer, Rheinischer Verein |
Juni 2021: | Keine Sperrung trotz akuter Gefahr! |
Oktober 2021: | Das sagen die Landtagsfraktionen — oder besser: Sagen die überhaupt etwas? |
März 2022: | Dr. Dagmar Aversano-Schreiber über das Gerberei-Handwerk in Bacharach und das Gerbhaus |
Kommentare 0