Akte Gerbhaus: Kapitel 04
Kapitel 1: Wie alles anfing
Kapitel 2: 19 Monate Untätigkeit der Denkmalschutzbehörde
Kapitel 3: Der Denkmalschutz „macht ernst“
Kapitel 4: Briefe aus Ost und West
Kapitel 5: Ziehen Sie keine 4.000 Euro ein!
Briefe aus Ost und West
Im dritten Kapitel dieser Dokumentation konnten wir lernen, dass man es bei der Unteren Denkmalbehörde nach wie vor nicht sehr eilig hatte mit der Rettung des historischen Gerbhauses. Der unnötig auf den 10. Februar 2017 nach hinten geschobene Wiedervorlagetermin der Akte hätte einen ruhigen Beginn des neuen Jahres für die Denkmalpflege bedeutet. Es sollte allerdings ganz anders kommen, wie Sie nun im vierten Kapitel erfahren werden. Aber wir alle wissen: Nie darf man die Beharrlichkeit einer Behörde unterschätzen! Wir werden also am Ende dieses Kapitels weitere 290 Tage wie im Fluge erledigt haben. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, vermuten, dass die Akte Gerbhaus in diesen 10 Monaten kaum an Umfang gewonnen haben und das Gerbhaus nicht gerettet sein wird, liegen Sie nicht falsch.
Und es regnet, regnet, regnet …
Post aus dem fernen Ausland
Wenn man zu Jahresbeginn in seine Amtsstube zurückkehrt — das vorzügliche Weihnachtsessen und die Getränke zum Jahreswechsel spannen am Bauch und im Kopf — dann möchte man nichts weniger auf seinem Schreibtisch sehen als schwierige Akten. Bei der Unteren Denkmalschutzbehörde wurde dieser Traum aber nicht erfüllt: Einer der Eigentümer des Gerbhauses hatte geschrieben.
Nun hatten die beiden Parteien, denen das Häuschen in Bacharach damals gehörte, sich noch nie um die Post gekümmert, die da ab und zu aus Ingelheim im Briefkasten lag. Wer konnte also mit so etwas rechnen? Nicht mal auf gleichgültige Denkmaleigentümer ist mehr Verlass!
Freundlich war das Schreiben: Man wünschte „einen guten Rutsch ins neue Jahr und alles BESTENS“. Die ungewöhnliche Formulierung wurde schnell verständlich, denn die Deutschkenntnisse des wohl ausländischen Eigentümers waren nach eigener Aussage nicht so gut. Deshalb nannte er einen Bevollmächtigten in einer grossen deutschen Stadt östlich von Bacharach, der „scannen, übersetzen und an mich senden könnte“.
Der Eigentümer wohnte nach seinem Bekunden nicht in Deutschland. Damit wir ein grobes Bild bekommen, nehmen wir mal an, dass er sich irgendwo weit, weit östlich von Bacharach aufhielt.
Tja, was nun? Würde Tatendrang in der Behörde ausbrechen?
Präzise wie ein Uhrwerk!
Der ruhige Jahresstart der Unteren Denkmalschutzbehörde war also irgendwie vermasselt. Von wegen „alles BESTENS“! Andererseits — wenn man so darüber nachdenkt — gab das unerwartete Schreiben auch keinen Anlass für hektische Aktivitäten. Da war ja schliesslich noch die Frist vom 10. Februar 2017. Also warum nicht erst mal abwarten? Und das tat die Untere Denkmalschutzbehörde dann auch. Gründlich! Und beharrlich …
Irgendetwas muss aber den präzise wie ein russisches Uhrwerk funktionierenden Apparat des Amts aus dem Tritt gebracht haben: Der 10. Februar 2017 — also der Wiedervorlagetermin — verstrich ohne weitere aus der Akte ersichtliche Aktivitäten. Nach dem netten Schreiben des einen Eigentümers sah es die Untere Denkmalschutzbehörde als nicht notwendig an, im Februar tätig zu werden. Auch nicht im März, April, Mai — ich erspare uns die Nennung der weiteren Monate, in denen es weiterhin durch das Dach des Gerbhauses regnen sollte und die verantwortliche Behörde lediglich durch Tatenlosigkeit auffiel.
Dabei hätte es allen Anlass gegeben, etwas zu tun: Der Bescheid vom 19. Dezember 2016 (siehe oben) war ja auch an den zweiten Eigentümer gegangen. Ob die Zustellung des Bescheids an ihn geklappt hatte? Ob er vielleicht sogar das Dach gesichert hatte?
Die Akte gibt nichts dazu her: Keine Zustellungsurkunden, keine Nachfragen des Denkmalpflegers, keine Vermerke oder Anordnungen.
Sent from my iPhone: Kaufinteresse!
231 Tage nach dem Brief des Eigentümers wurde das nächste Blatt Papier für die Akte produziert: Im August 2017 wurde der Ausdruck einer eMail abgeheftet. Die Untere Denkmalschutzbehörde erreichte eine Anfrage, wohl wieder aus dem Ausland („Sent from my iPhone“).
Was wurde aus dem Kaufinteressenten?
In der Akte tauchte der Name des potentiellen Käufers nie wieder auf. Auf eine Anfrage per eMail durch uns kam keine Antwort.
Ein Kaufinteressent (!) mit vermutlich englischsprachigem Hintergrund fragte in deutscher Sprache an, wie es mit den Schäden des Gerbhauses aussähe und welchen Zeitrahmen es zur Reparatur gäbe, wenn er es kaufte. Tja, was nun?
Es ist belustigend und bedrückend zugleich, die Antwort der Denkmalpflege zu lesen, immerhin am selben Tag verfasst:
„Derzeit besteht ein dringendes Erfordernis, das Dach des Gebäudes gegen Regen zu schützen. Diesbezügliche Maßnahmen wären nicht aufzuschieben.“
Wir erinnern uns: Am 5. Februar 2015 war die Akte Gerbhaus angelegt worden, weil das Schreiben der Bauaufsicht bei der Unteren Denkmalbehörde eingegangen war. Bereits damals war die Dringlichkeit unübersehbar — und das war nun schon 928 Tage früher. Wir wissen: Nichts war seitdem geschehen, was dem Gerbhaus auch nur einen Regentropfen im Inneren erspart hätte.
Was mag die zuständige Person im Amt gedacht haben, als sie diese Antwort im August 2017 verfasste? Ob sie sich darüber im Klaren war, dass sie seit der letzten Aktenvorlage Anfang Januar 2017 — also seit 231 Tagen — keinerlei Aktivitäten zur Rettung dieses Kulturdenkmals vorgenommen hatte? Ob sie bemerkt hat, dass die Akte seitdem einen seltsam leeren, unbearbeiteten Eindruck machte?
Aufgeschreckt!
Mist! Wenn die Welt doch nur nicht so gemein wäre! Warum konnte die Landesdenkmalpflege in Mainz sich nicht einfach um ihren eigenen Kram kümmern? Warum musste man von dort — sogar etwas süffisant — am 6. September 2017 nachfragen:
Ich weiß, dass Sie den Eigentümer angeschrieben haben. Haben Sie schon eine Rückmeldung bekommen?
Ja, die Landesdenkmalpflege in Mainz wusste natürlich, dass „der Eigentümer“ angeschrieben wurde. Schliesslich wurde der Bescheid vom 19. Dezember 2016 zur Kenntnisnahme auch an die Landesdenkmalpflege geschickt. In der Unteren Denkmalschutzbehörde in Ingelheim dürfte man sich bewusst gewesen sein, dass die gerade per eMail hereingeregn… ah, hereingekommene Anfrage aus Mainz in Kenntnis der Untätigkeit der Behörde in Ingelheim verfasst wurde.
Was nun? Wie kann man die 260 Tage — prall gefüllt mit, äh, Inaktivität für das Gerbhaus — am besten erklären? Da kam die letzte eMail mit der „Kaufanfrage“ doch gerade richtig. Die Untere Denkmalschutzbehörde baute auf den Faktor Hoffnung und teilte der Landesdenkmalpflege per eMail am 11. September 2017 mit:
Das Problem ist, dass der Haupteigentümer sich [im Ausland] aufhält. Wir haben gegen ihn eine Instandsetzungsverfügung erlassen. Eine neue Entwicklung ist, dass das Gebäude offensichtlich zum Verkauf steht.
In Mainz war man’s möglicherweise zufrieden — jedenfalls zeigt die Akte Gerbhaus keinerlei weitere Reaktionen. Dabei wären doch ein paar Fragen zu stellen gewesen:
- Könnte nicht auch ein im Ausland lebender Eigentümer einen Reparaturauftrag für das Dach erteilen?
- Was macht eigentlich der zweite Eigentümer, gegen den ja ebenfalls eine Instandsetzungverfügung erlassen wurde?
- Warum sind seit den beiden Instandsetzungverfügungen eigentlich neun Monate vergangen, ohne dass das Dach geschlossen wurde?
- Wieso wurde die angedrohte Ersatzvornahme durch die Untere Denkmalbehörde nicht umgesetzt?
- Was genau veranlasste die Untere Denkmalbehörde anzunehmen, dass es ernsthafte Verkaufsabsichten der Eigentümer gibt?
All das sind Fragen, die uns einfallen. Sie drängen sich sogar auf. Warum nicht in Mainz — wo man doch gerade angefangen hatte nachzufragen?
Was macht eigentlich die Stadt Bacharach?
In der romantischen Stadt Bacharach ging man derweil jeden Tag am weniger romantischen Gerbhaus vorbei und konnte dessen fortschreitenden Verfall betrachten. Beim Denkmalschutz hatte man sich nicht in irgendeiner Form gemeldet, die aktenkundig wurde.
Jahre später hatte man immerhin eine Übereinstimmung mit der Ingelheimer Behörde gefunden. Beide benutzten uns gegenüber die selbe Formulierung: „Wir haben alles Mögliche getan.“
zum nächsten KapitelInhaltsverzeichnis
I. Aus der DenkmalakteEinleitung | Übersicht mit Kurzbeschreibung |
Kapitel 1: | Wie alles anfing |
Kapitel 2: | 19 Monate Untätigkeit der Denkmalschutzbehörde |
Kapitel 3: | Der Denkmalschutz „macht ernst“ |
Kapitel 4: | Briefe aus Ost und West |
Kapitel 5: | Ziehen Sie keine 4.000 Euro ein! |
Juli 2021: | Hartmut Fischer, Rheinischer Verein |
Juni 2021: | Keine Sperrung trotz akuter Gefahr! |
Oktober 2021: | Das sagen die Landtagsfraktionen — oder besser: Sagen die überhaupt etwas? |
März 2022: | Dr. Dagmar Aversano-Schreiber über das Gerberei-Handwerk in Bacharach und das Gerbhaus |
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